Mathilda, der klapprige Van mit Herz und Heizlüftungsproblem, tuckerte durch Norditalien. Louisa hatte eine Playlist aufgelegt, die irgendwo zwischen Italo-Pop, Akustik-Gitarren-Balladen und spontanen Tiergeräuschen schwankte. Jonas versuchte, sich nicht aus der Ruhe bringen zu lassen, während sie zum dritten Mal hintereinander „Ti Amo“ lauthals mitsang – inklusive improvisiertem Tamburin auf der Brotdose.
„Du weißt, dass du die einzige Person auf Erden bist, bei der ich italienische Schlagermusik ertrage?“, murmelte er, ohne vom Straßenverlauf abzuweichen.
„Oh, ich bin sicher, es ist eine lange Liste. Ich stehe vermutlich nur ganz oben.“
„Du stehst überall ganz oben.“
Sie grinste – und ließ das Tamburin fallen. Dann, plötzlich, riss sie sich den Kopfhörer raus, tippte hektisch auf ihr Handy.
„Jonas! Du glaubst nicht, was ich gerade gesehen hab!“
„Wenn du sagst, dass irgendwo in der Nähe ein Weinberg mit Alpakas ist, fahre ich gegen den nächsten Olivenbaum.“
„Nein, viel besser! Eine E-Mail. Von einem Verlag!“
„Ein Verlag?“
„Ja! Sie haben meinen Blog entdeckt. Und sie wollen... ein Buch.“
Jonas trat fast aufs Gas statt auf die Bremse.
„Was?“
„Sie finden meinen Stil ‚ungezähmt und ehrlich‘. Und sie wollen, dass ich eine Art modernes Reisetagebuch schreibe. Mit echtem Gefühl. Und echten Menschen.“
Sie hielt inne. Ihr Blick wanderte zu ihm.
„Mit uns.“
Er sagte erst mal nichts. Nicht, weil er nicht begeistert war – sondern weil er diese Information kurz gegen sämtliche Teile seines geordneten Weltbilds gegenprüfen musste.
„Ein Buch? Über uns?“
„Naja, nicht nur. Über das Reisen. Das Finden. Das Verlieren. Und darüber, dass man sich in einem Hotelzimmer mit doppelter Buchung verlieben kann.“
Er sah sie an. Und in ihren Augen lag dieser wilde, flackernde Glanz – der gleiche wie damals, als sie das erste Mal mit Flip-Flops über sein frisch geputztes Hotelfensterbalustradengeländer gestolpert war.
„Dann schreiben wir ein Buch“, sagte er. „Und ich bestehe auf mindestens ein Kapitel mit Tabellen.“
„Du bekommst ein Inhaltsverzeichnis. Und ein Sternchen für gute Formatierung.“
Sie legten einen Stopp ein – mitten im Nirgendwo, bei einer kleinen Bäckerei, die aussah, als wäre sie seit 1950 nicht mehr renoviert worden. Drinnen roch es nach Zucker, Teig und Träumen. Louisa verschwand sofort mit der Kamera, während Jonas zwei Espresso bestellte.
Als sie zurückkam, hielt sie ein Stück Papier in der Hand.
„Was ist das?“, fragte er.
„Ein Zettel, der auf dem Boden lag. Jemand hat ihn wohl verloren. Da steht nur ein Satz drauf: Manchmal braucht es keinen Kompass, nur jemanden, der die Richtung mit dir gemeinsam verliert.“
Jonas lächelte.
„Ich hätte es nicht besser sagen können.“
Sie setzten sich in die Sonne, tranken ihren Kaffee, aßen Mandelkekse, und ließen sich treiben – durch Gespräche, Pläne und all das Dazwischen, das Liebe ausmacht.
Und als Louisa später in ihr Reisetagebuch schrieb, begann sie mit den Worten:
Kapitel 1: Wie alles begann.
Ein Zimmer. Zwei Menschen. Und kein Platz für Vorurteile.
Dafür umso mehr für Herzklopfen.
Am Abend, irgendwo am Gardasee, als der Himmel lila wurde und Jonas zum ersten Mal ganz ohne To-do-Liste die Sterne zählte, legte Louisa den Kopf auf seine Schulter.
„Weißt du, was ich gelernt hab?“
„Was?“
„Dass man sich verlieren kann – und trotzdem gefunden wird.“
„Oder dass man jemanden findet, der einen so nimmt, wie man ist – sogar mit sieben offenen Tabs im Kopf.“
„Oder mit alphabetisch sortierten Unterhosen.“
Er lachte. Und küsste sie.
Langsam. Sicher.
Denn obwohl sie nie den gleichen Weg gegangen waren, hatten sie denselben Ort erreicht.
Ein Ort ohne Zielkoordinaten.
Aber mit jeder Menge Gefühl.
Und vielleicht – nur vielleicht – war das die einzige Karte, die man wirklich brauchte.