Der Tag war warm und still, fast zu still. Kein Fahrtwind, keine ratternden Reifen unter Mathilda. Kein neues Ziel in der Nase. Nur dieser eine Hügel am Rand eines portugiesischen Dorfs, auf dem ein halbverfallenes Haus stand, das von außen aussah, als hätte es vergessen, dass es mal ein Zuhause war.
„Du willst was?“, fragte Louisa, als Jonas mit staubigen Händen und leuchtenden Augen vor ihr stand.
„Das Haus. Ich will’s kaufen.“
Sie blinzelte. „Du willst ein Haus kaufen. Du. Der Mann, der drei Wochen überlegt hat, ob er einen Thermobecher in Blau oder in Blaugrau bestellen soll?“
„Blaugrau war nicht lagernd.“
„Das ist nicht der Punkt, Jonas.“
„Ich weiß.“
Er trat einen Schritt näher.
„Aber hör zu: Es muss nichts Großes werden. Kein Garten mit Pool, keine Einbauküche mit drei Backöfen. Ich will nur einen Ort, der uns gehört. Einen, in dem Mathilda im Schatten steht, während wir drinnen unser nächstes Kapitel schreiben.“
Louisa sah zum Haus. Die Farbe blätterte, das Dach wirkte müde, und der Wind spielte leise mit einer alten Fensterjalousie.
Es war nicht perfekt.
Und genau das war es, was sie lächeln ließ.
Sie kauften das Haus.
Ohne viel Papierkram – oder, wie Louisa es nannte, „mit vertrauensvoller Bürokratievermeidung“. Sie putzten, renovierten, bauten um. Louisa entdeckte ihre Liebe zu unförmigen Keramiktöpfen, Jonas entdeckte, dass er handwerklich besser war, wenn niemand zusah. Und Egon – der Kaktus – bekam seinen festen Platz auf der Fensterbank mit Blick auf das Meer.
Es dauerte Wochen, bis sie sich trauten, das neue Kapitel auch in Worte zu fassen.
„Was machen wir jetzt?“, fragte Louisa eines Abends, als sie mit Pinsel und Farbklecksen im Haar auf dem Boden saß.
„Wir bleiben.“
„So einfach?“
„So schön.“
Die Tage vergingen. In Farben, in Kaffee, in unausgesprochenem Glück.
Jonas richtete sich ein kleines Schreibzimmer ein – nicht, weil er zurück in alte Muster fiel, sondern weil er es sich verdient hatte, einen Ort zu haben, an dem seine Gedanken aufräumen durften. Louisa richtete sich keinen Raum ein. Sie schrieb überall. Auf der Treppe. In der Küche. Auf der Rückseite alter Lieferscheine.
Sie nannten das Haus Casa Depois – „Haus Danach“.
Weil sie wussten: Das Leben hatte nicht aufgehört zu passieren.
Es hatte nur begonnen, Wurzeln zu schlagen.
An einem Sonntag im Frühherbst, als die Blätter sich überlegten, ob sie schon loslassen sollten, stand Louisa mit Jonas auf dem Dachboden.
„Hier oben ist der perfekte Platz“, sagte sie.
„Wofür?“
Sie reichte ihm ein eingerahmtes Zitat.
Handgeschrieben.
Auf dem Zettel, den sie damals in Les Heures Douces gefunden hatten.
…eine Richtung, die sich nicht nach Norden richtet, sondern nach Nähe.
Jonas hängte es auf.
Zentriert.
Mit Wasserwaage.
Natürlich.
Und als sie später unten in der Küche saßen, den Tee in den Händen und ihre nackten Füße ineinander verschlungen, sagte Louisa:
„Weißt du, was ich später mal erzählen will?“
„Was?“
„Dass wir nicht wegen eines Plans hier gelandet sind. Sondern wegen einer Entscheidung. Jeden Tag. Immer wieder. Für uns.“
Jonas nickte. „Und dass Liebe nicht das große Ja war.“
„Sondern die vielen kleinen Ja’s danach.“
Und wenn Gäste kamen – denn sie kamen, irgendwann – und fragten, warum ausgerechnet dieses Haus, warum genau dieser Ort, dann sagten Louisa und Jonas immer dasselbe:
„Weil wir hier den Lärm der Welt ausschalten konnten.
Und unser eigenes Flüstern endlich gehört haben.“
Und das reichte.
Mehr als genug.