Zwischen Kaffee und Kompass

Kapitel 21: Und dann warst du da

Es war mitten in der Nacht, als Louisa Jonas an der Schulter rüttelte.

Nicht panisch. Nicht dramatisch.
Nur leise.
Zielsicher.

„Jonas?“

Er blinzelte, schob sich aus seinem Traum, in dem er versuchte, Babywindeln farblich zu sortieren.
„Hm? Ist was?“

„Ich glaube... es geht los.“

Er war innerhalb einer Sekunde hellwach. Und gleichzeitig vollkommen nutzlos.
„Also... du meinst... jetzt jetzt?“

„Nicht nächste Woche. Nicht gleich. Aber... es hat begonnen.“

Sie lächelte. Und verkrampfte sich im selben Moment.
Und Jonas wusste, ohne dass sie etwas sagen musste: Das ist ernst. Und das ist echt.

Er hatte einen Plan. Natürlich.
Er hatte eine Tasche gepackt. Mehrmals.
Er hatte ein Notfallprotokoll auf dem Handy und eine Liste auf dem Kühlschrank.

Aber in diesem Moment schaute er Louisa an – wie sie da saß, mit verschwitzten Haaren, mit einem Ausdruck zwischen Stärke und Zerbrechlichkeit –
und all seine Pläne wurden nebensächlich.

Es zählte nur noch sie.
Und der kleine Mensch, der unterwegs war.

Die Fahrt ins Krankenhaus war seltsam ruhig.
Es war Nacht. Der Himmel tiefschwarz, mit vereinzelten Sternen. Mathilda brummte tapfer durch die Dunkelheit, als wüsste sie: Jetzt trage ich was besonders Wertvolles.

Louisa presste die Lippen zusammen. Atmete. Fluchte leise. Lachte zwischendurch, weil Jonas dreimal in fünf Minuten fragte, ob sie „noch okay“ sei.

„Ich krieg ein Kind, Jonas. Ich bin nicht okay. Ich bin großartig unter extremen Bedingungen.“

„Du bist die Definition von Superkraft.“

Im Krankenhaus ging alles schnell. Dann wieder langsam. Dann zu schnell.

Die Stunden verschwammen zu einer einzigen langen Linie aus Schmerz, Hoffnung, Hitze, Schwitzen, Händedrücken, tiefem Atmen, durchgebissenen Lippen, Tränen, Schweiß, Lachen – und Liebe. So viel Liebe, dass sie beinahe körperlich greifbar wurde.

Und irgendwann, zwischen zwei Wehen, sagte Louisa mit leuchtenden Augen:

„Ich kann nicht mehr.“

Und Jonas sagte, mit tränennasser Stimme:

„Du musst nicht. Aber du wirst. Weil du die mutigste Frau bist, die ich kenne. Und weil ich dich halte. Egal, wie laut du schreist.“

Sie schrie nicht.

Sie flüsterte.

Und dann – kam Leben.

Es war 4:17 Uhr, als alles still wurde.

Und dann: ein Schrei. Hoch. Klar. So voller Kraft, dass es Jonas die Tränen in die Augen trieb, obwohl er dachte, er hätte keine mehr übrig.

Louisa hielt ihr Kind im Arm – noch blutverschmiert, warm, glitschig und perfekt.
Sie sah Jonas an, schwach und leuchtend zugleich.

„Da bist du ja“, flüsterte sie.

Das Baby – ein Mädchen – schnaubte, dann gähnte.
Und Jonas war überzeugt: Kein Sonnenaufgang dieser Welt würde je schöner sein als dieser erste, leicht beleidigte Blick aus zwei winzigen, dunklen Augen.

„Was machen wir jetzt?“, fragte er leise.

Louisa sah ihn an.
„Wir beginnen.“

Zwei Tage später saßen sie wieder zu Hause in Casa Depois – zu dritt.
Die Wäsche war nicht gemacht. Der Tee war kalt. Egon kippte erneut schief zur Seite.

Aber in der Mitte der Welt – auf dem Sofa, unter einer viel zu großen Kuscheldecke – lagen sie.
Jonas, Louisa und das kleine Wesen mit dem zarten Namen:

Mira.
(Das portugiesische Wort für „sieh“.)

Und sie sahen.
Einander.
Die Zukunft.
Das Chaos, das kommen würde.
Und die Liebe, die nicht nur geblieben war – sondern gewachsen war.

Jonas schrieb in sein altes Reisetagebuch:

Hier endet unsere Geschichte nicht.
Sie beginnt neu – mit einer dritten Stimme.
Und während die Welt draußen weiter in Eile ist,
sitzen wir hier –
und zählen Herzschläge.

Dann legte er das Buch zu.
Nicht, weil es fertig war.
Sondern weil das nächste Kapitel
nicht mehr auf Papier geschrieben wurde.

Sondern jeden Tag.
Mit Windelgeruch,
mit müden Augen,
mit leisen Gutenachtliedern,
und einem einzigen, ewigen Gedanken:

Wir sind angekommen.
Und wir bleiben.

Fortsetzung folgt...
Wörter: 491
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