Es war ein sonniger Frühlingstag in Nordspanien, und Mathilda – der abgenutzte, leicht rostige Van mit dem Herz eines Abenteurers – stand mit offenem Kofferraum vor dem kleinen Haus am Hang. Kartons wurden gestapelt, Töpfe polterten, und eine Topfpflanze namens Egon (ein Kaktus mit seltsam melancholischem Blick) drohte, bei der nächsten Windböe die Böschung hinunterzurutschen.
Louisa klemmte sich ein Bild mit einem Flip-Flop und der Aufschrift „Glücklich ist, wer trotzdem liebt“ unter den Arm und trat an Jonas heran, der mit einem Maßband in der Hand die Rückbank von Mathilda vermessen wollte.
„Was genau machst du da?“, fragte sie und biss in ein Pfirsichbrötchen.
„Ich überprüfe, ob wir die Bücherkiste ohne strukturelle Risiken auf dem Generator platzieren können.“
„Du meinst, ob sie nicht runterfällt, wenn du wieder zu schnell in eine Kurve fährst?“
„Ich fahre nicht zu schnell. Ich fahre effizient.“
„Effizient ist kein romantisches Wort, Jonas.“
„Doch, wenn es bedeutet, dass deine Manuskripte sicher von A nach B kommen.“
Sie grinste. „Okay, das war süß. Du bekommst einen halben Keks dafür.“
„Halb?“ Er hielt die Hand auf.
Sie biss noch einmal ab und reichte ihm dann den Rest. „Ich bin Autorin. Ich teile nur, wenn’s narrativ Sinn ergibt.“
Sie zogen um. Nicht weil sie mussten – sondern weil sie wollten. Weil sich das kleine spanische Dorf zwar wie ein Zuhause angefühlt hatte, aber sie beide wussten, dass ihr Zuhause eigentlich rollte. Und manchmal ruckelte. Und beim Einparken klang wie ein röhrender Dachs mit Asthma.
Mathilda sollte wieder los.
Ziel: Niemand wusste es so genau. Vielleicht Portugal. Vielleicht Slowenien. Vielleicht einfach dorthin, wo das nächste Kapitel wartete.
„Hast du alles?“, fragte Louisa, als sie die Tür schloss und noch einmal durch das leere Haus blickte.
„Nur dich“, antwortete Jonas.
Dann blieb er stehen. Griff in seine Tasche. Und zog einen Schlüssel hervor.
„Was ist das?“
„Ein echter Haustürschlüssel.“
„Wofür?“
„Für das kleine Ferienhaus am See in Österreich. Ich hab’s gemietet. Für später.“
Louisa blinzelte. „Du hast einen Plan. Ohne dass wir einen Plan hatten.“
„Ich wollte einen Ort haben, wo wir immer wieder hin zurückkönnen. Falls wir mal Pause brauchen vom Unterwegssein. Oder vom Leben. Oder vom WLAN.“
Sie nahm den Schlüssel, betrachtete ihn – und küsste ihn dann, langsam, ruhig, voller Bedeutung.
„Ich liebe deinen Kopf. Und dein Herz.“
„Und du bringst sie beide regelmäßig aus dem Takt.“
„Teamwork“, flüsterte sie.
Am Abend saßen sie wieder einmal auf der Matratze im Van, ihre Beine umeinander geschlungen, Musik spielte leise im Hintergrund. Der Sonnenuntergang war rosa-orange, als hätte jemand zu tief in die Farbpalette gegriffen.
„Weißt du, was mir fehlt?“, murmelte Louisa.
„Hm?“
„Ein Kapitel über uns, in dem mal nichts passiert.“
„Nichts?“
„Ja. Kein Drama, kein Umzug, kein Flip-Flop-Desaster. Einfach nur… wir. Kaffee. Vielleicht ein Regenbogen. Maximal ein verlorener Hausschuh.“
Jonas dachte kurz nach. „Das wäre Kapitel 13.“
„Aberglaube?“
„Nein. Glückszahl. Denn wenn das Leben nichts Spektakuläres tut und du trotzdem da sitzt und denkst: 'Das hier fühlt sich vollkommen an' – dann weißt du, dass du richtig bist.“
Sie lehnte sich an ihn. Und so schrieben sie es:
Kapitel 13 – Nichts passiert. Und das ist das Schönste daran.
Das Buch bekam eine Fortsetzung. Natürlich. Leser*innen wollten wissen, wie es weiterging mit Louisa und Jonas, mit Mathilda, mit Egon dem Kaktus, mit dem Schlüssel zum Seehaus.
Doch die Wahrheit war: Es ging nicht „weiter“ im klassischen Sinn.
Es ging einfach.
Still.
Verlässlich.
Wunderbar unperfekt.
Weil Liebe nicht darin liegt, jeden Tag aufs Neue zu kämpfen, zu glänzen oder zu überraschen.
Sondern darin, jemandem die Zahnpasta zu kaufen, ohne gefragt zu werden.
Darin, einen Schlüssel zu geben – zu einem Haus, zu einem Herzen.
Darin, morgens gemeinsam Kaffee zu trinken und nicht mehr zählen zu müssen, wie viele Tage es schon sind.
Sondern zu wissen:
Es werden noch viele.
Und jeder einzelne lohnt sich.