Drei Monate waren vergangen, seit Jonas und Louisa gemeinsam in Mathilda durch Europa rollten. Ihr Alltag bestand mittlerweile aus improvisierten Frühstücken auf Parkbänken, WLAN-Suchen auf Campingplätzen und nächtlichen Diskussionen über Formulierungen für Louisas Buch. Es war ein Leben zwischen Freiheit und Nähe – roh, ungefiltert, ehrlich.
An einem Donnerstag – es hätte auch ein Montag sein können, Zeit hatte ihren Rhythmus verloren – erreichten sie ein kleines Dorf in Südfrankreich. Dort, zwischen Olivenhainen und verschlafenen Boule-Spielern, geschah etwas Unerwartetes.
Jonas verlor seinen Flip-Flop.
„Wie bitte?“, fragte Louisa und unterdrückte ein Lachen, während sie mit schiefer Sonnenbrille und zwei Einkaufstüten dastand.
„Ich hab ihn verloren. Er ist… einfach weg. Ich hab ihn hier abgestellt.“
„Du stellst deine Schuhe ab?“
„Natürlich. Ich richte sie parallel aus.“
Louisa kippte fast vor Lachen vom Bordstein.
Jonas seufzte. „Ich weiß, du findest das alles amüsant, aber der Schuh ist weg. Einfach... fort. Entführt. Vielleicht rebelliert er.“
„Oder er ist auf Solo-Reise.“
Sie fanden den Flip-Flop später auf dem Dach von Mathilda. Niemand wusste, wie er dorthin gekommen war. Louisa behauptete, es sei ein kosmisches Zeichen. Jonas tippte auf einen streunenden Hund mit einem seltsamen Sinn für Humor.
Aber irgendetwas an diesem Vorfall ließ Louisa innehalten.
„Weißt du, das ist es. Genau das. Das ist der Stoff, aus dem mein Buch werden soll. Nicht die perfekte Reise. Sondern das kleine Drama. Das Echtheitsschnipsel. Der verlorene Flip-Flop des Vertrauens.“
Jonas sah sie an. Ihre Augen funkelten. Wieder dieser kreative Wahnsinn, den er so liebte. Das Chaos, das nicht zerstörte, sondern formte.
„Dann schreib’s auf“, sagte er. „Schreib auf, wie du mir beigebracht hast, loszulassen. Und wie ich dir gezeigt habe, dass Ankommen auch ein Ziel sein darf.“
Einige Tage später – sie saßen auf einem Weingut in der Toskana und tranken aus Espressotassen, obwohl es Wein war – kam der Anruf.
Verlag. Vertrag. Veröffentlichung in sechs Monaten.
Louisa ließ das Handy sinken und sah Jonas wortlos an. Dann schrie sie. Kurz. Laut. Und warf sich in seine Arme.
„Sie machen es wirklich“, keuchte sie. „Mein Buch. Unser Buch.“
Jonas lachte, hob sie hoch und drehte sich mit ihr im Kreis. Irgendwo in der Nähe grummelte ein italienischer Winzer über „die jungen Leute von heute“, aber das interessierte sie nicht.
Sie hatten es geschafft.
Nicht perfekt.
Aber echt.
Die Veröffentlichung wurde in einer kleinen Buchhandlung in Berlin gefeiert. Es war voll, chaotisch, laut – Louisa trug ein Kleid mit Sonnenblumen, Jonas einen perfekt gebügelten Hemdkragen. In der ersten Reihe saß eine Frau mit Tränen in den Augen, weil sie in Kapitel fünf ihre eigene Geschichte wiedererkannte.
Am Ende der Lesung, als der Applaus verklang und Louisa das Mikrofon senkte, sagte sie:
„Dieses Buch ist eine Liebeserklärung. An das Unterwegssein. An das Nichtwissen. Und an Jonas, der mir gezeigt hat, dass man auch im schönsten Chaos ein Zuhause finden kann.“
Sie drehte sich zu ihm.
Er trat vor, nahm ihre Hand. Und diesmal war es nicht spontan. Nicht improvisiert.
Jonas zog ein kleines Etui aus der Tasche – flach, schlicht, elegant.
Louisa hielt den Atem an.
„Ich habe lange gezögert, ob ich diesen Moment planen sollte“, sagte er. „Aber weißt du was? Ich tue es trotzdem. Weil ich will, dass du weißt: Ich bleibe.“
Er öffnete die Schachtel.
Kein klassischer Ring.
Ein kleines, silbernes Flip-Flop-Anhängerchen. In der Innenseite: Mathilda & wir.
Louisa lachte. Und weinte. Und sagte Ja.
Nicht, weil alles perfekt war.
Sondern weil es richtig war.
Und so schrieben sie weiter – nicht nur Bücher, sondern Leben. Mit Sand in den Taschen, Wäsche auf der Leine zwischen zwei Bäumen und einem Van, der nie pünktlich sprang.
Aber dafür mit Herz.
Mit Regeln, die man bricht, und einem Zuhause, das man nicht mehr sucht.
Weil es längst da ist.
In einem Blick.
In einem Lachen.
In einem verlorenen Flip-Flop auf dem Dach.