Zwischen Kaffee und Kompass

Kapitel 2: Frühstück mit Marmeladenkrise

Der nächste Morgen begann für Jonas wie gewohnt: um 6:30 Uhr. Er war bereits geduscht, rasiert und saß in Hemd und Stoffhose am kleinen Schreibtisch, wo er mit stoischer Ruhe die Route für seinen geplanten Museumsbesuch notierte.

Louisa hingegen lag noch im Bett, halb unter der Decke vergraben, ein Bein frei, die Haare wie ein explodierter Teddybär in alle Richtungen. Irgendwann murmelte sie etwas von „Mangos und Marzipaninseln“ und wälzte sich mit einem zufriedenen Lächeln auf die andere Seite.

Jonas rieb sich die Schläfen.

Er hatte die Kaffeemaschine in der Ecke entdeckt und sogar entkalkt – zur Sicherheit. Nun trank er seinen ersten Espresso und blätterte durch den hoteleigenen Stadtführer, als ein leises Knarzen vom Bett kam.

„Guten Mooorgen“, gähnte Louisa und streckte sich wie eine Katze, die beschlossen hatte, dass heute der perfekte Tag für nichts sei.

„Es ist sieben Uhr dreißig“, sagte Jonas sachlich.

„Perfekt! Dann ist noch Frühstück da.“

Sie schlurfte ins Bad, schnappte sich eine Zahnbürste aus einem Beutel mit einem aufgenähten Lama und summte dabei fröhlich "Here Comes the Sun". Nach einem Geräusch-Mix aus Wasserrauschen, Schrankklappen, Schnipsen und leisen Flüchen wegen einer verlorenen Socke stand sie schließlich neben ihm: in einem türkisfarbenen Kleid, das leicht zerknittert war, aber zu ihr passte wie Sonne zum Himmel.

„Sie haben einen Fleck auf dem Kleid“, sagte Jonas.

„Ah, der? Ist Kirschmarmelade. Oder Lippenstift. Oder beides. Wer weiß das schon?“

Er konnte nicht anders – sein Blick wanderte unwillkürlich von dem kleinen Fleck wieder hoch zu ihrem Gesicht. Ihr Lächeln war ansteckend. Zum zweiten Mal innerhalb von 24 Stunden verfluchte Jonas sein eigenes leichtes Herzklopfen.

Das Frühstücksbuffet im Erdgeschoss war gut besucht. Kinder kippelten auf Stühlen, ältere Paare lasen Zeitung, und irgendwo hörte man jemanden mit zu lauter Stimme über Bootstouren sprechen.

Jonas stapelte sich methodisch: ein Vollkornbrötchen, eine kleine Portion Rührei, exakt drei Gurkenscheiben. Louisa dagegen jonglierte drei Marmeladenschälchen, zwei Croissants, einen Apfel und ein riesiges Glas Orangensaft.

„Wollen Sie das alles wirklich essen?“, fragte er.

„Nein. Aber ich will wissen, auf was ich heute Lust habe. Und das geht nur mit Auswahl!“

Sie setzten sich an einen Zweiertisch am Fenster. Während Jonas sein Brötchen sorgfältig schnitt und die Butter in gleichmäßigen Zügen verteilte, schnappte sich Louisa das erste Marmeladentöpfchen – und verzog das Gesicht.

„Pflaume. Bäh.“

„Dann hätten Sie vielleicht vorher aufs Etikett schauen sollen.“

„Aber wo bleibt da der Nervenkitzel?“

Sie griff nach dem nächsten. Aprikose. Dann Erdbeere. Dann... oh je.

„Oh nein“, sagte sie plötzlich. „Ich glaub, das war kein Marmeladentopf.“

„Wie meinen Sie das?“

Sie hielt ihm das Schälchen hin. Es war nicht Marmelade. Es war... Sambal Oelek.

„Oh.“ Jonas hob eine Augenbraue. „Wollen Sie Brot mit Chili, oder lieber gleich Feuer spucken?“

Louisa prustete los. „Ich hab mir fast das Croissant damit eingeschmiert!“

Sie lachten. Beide. Und diesmal war es kein höfliches Kichern oder ein gezwungenes Nicken. Es war ein echtes, warmes, gemeinsames Lachen.

Danach beschlossen sie, gemeinsam durch die Altstadt zu schlendern – ein Kompromiss, den Jonas zuerst skeptisch betrachtete. Er hatte seinen Tagesplan natürlich vorbereitet, aber Louisa bestand darauf, „sich einfach mal treiben zu lassen“.

Und obwohl es ihn nervös machte, sich von seiner Liste zu lösen, ließ er sich darauf ein.

Sie entdeckten versteckte Gassen mit bunten Blumenbalkonen, ein kleines Antiquariat, in dem Louisa ein Buch über Sternzeichen kaufte („Du bist sowas von Jungfrau, Jonas, ehrlich!“), und einen Straßenmusiker, bei dem sie kurzerhand stehenblieb und zu tanzen begann.

Jonas stand erst stocksteif daneben. Dann... zuckte sein Fuß leicht im Takt.

Und dann – unvorstellbar – klatschte er sogar mit.

Am Abend saßen sie auf dem Balkon. Der Himmel war in Pfirsichtöne getaucht, das Meer still. Louisa trank einen alkoholfreien Cocktail aus einer Kokosnuss, Jonas hatte sich eine kühle Limonade genehmigt.

„Also... wenn Sie nicht so ein penibler Kofferpack-Freak wären, könnten Sie fast sympathisch sein“, neckte sie.

„Und wenn Sie nicht so chaotisch wären, könnten Sie fast zivilisiert wirken.“

Sie stießen an. Kokos auf Glas.

Ein Moment der Stille.

Dann sah Louisa ihn mit einem Blick an, der ganz anders war als sonst. Nicht verspielt. Nicht flapsig. Sondern warm. Weich.

„Es ist irgendwie schön... dass ausgerechnet du hier bist. Ich hab selten jemanden getroffen, der so anders ist – und mit dem ich mich trotzdem so... wohl fühle.“

Jonas schluckte. Das Herz klopfte wieder. Dieses Mal heftiger. Und nicht nur, weil sie nah saß.

„Ich... auch“, sagte er leise.

Ein Windhauch strich durch ihre Haare. Sie lachten leise. Und redeten weiter. Über alles. Über nichts.

Die Sonne sank. Und irgendetwas zwischen ihnen begann ganz leise, zu wachsen.

Fortsetzung folgt...
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