Der Herbst kam früh nach Casa Depois. Die Olivenbäume schüttelten ihre silbergrauen Blätter etwas zu hastig ab, als wollten sie Platz schaffen für das Neue, das kam. Der Wind war weicher geworden, aber nicht weniger bestimmt. Er wehte durch offene Fenster, blähte Vorhänge auf und brachte mit sich eine leise Vorfreude, die sich in jeder Ecke des Hauses festsetzte.
Louisa war inzwischen im achten Monat. Ihr Bauch hatte eine erstaunliche Persönlichkeit entwickelt – mit eigenen Launen, eigenem Timing und einem festen Widerstand gegen Jonas’ morgendliche Yoga-Routinen im Wohnzimmer.
„Ich glaub, das Kind mag keine Ordnung“, murmelte sie an einem Dienstag, als Jonas zum dritten Mal versuchte, ein Mini-Wickelregal symmetrisch neben das Fenster zu stellen.
„Dann bekommt es gleich mal einen Erziehungsplan“, antwortete er trocken. „Punkt 1: mathematisch geordnete Bauklötze. Punkt 2: keine Apfelschnitze in ungerader Anzahl.“
Louisa lachte – und hielt sich den Bauch.
„Tu das nicht. Es denkt sonst, es wächst in einem Irrenhaus auf.“
„Es wächst in einem Zuhause auf. Das ist ein Unterschied.“
Und er hatte recht.
Denn obwohl Chaos an vielen Tagen die Oberhand gewann – weil Louisa plötzlich Lust auf gebratene Gurken mit Honig hatte, weil das alte Fenster im Bad wieder einmal klemmte, weil Egon der Kaktus aus Versehen gegossen wurde („Er sah so durstig aus!“) – blieb da dieses leise, sichere Gefühl:
Wir schaffen das. Zusammen.
An einem regnerischen Donnerstagmorgen saßen sie im Bett, die Teetassen dampfend auf dem Fensterbrett, und Louisa hielt einen zerknitterten, karierten Zettel in der Hand.
„Was ist das?“, fragte Jonas und beugte sich neugierig vor.
„Ein Brief. An jemanden, der noch nicht lesen kann.“
Sie strich über das Papier. „Ich weiß, das ist albern, aber… ich wollte unserem Kind etwas schreiben. Etwas Echtes. Keine Instagram-Bildunterschrift. Sondern einen Brief aus Papier. Aus mir.“
Jonas schwieg. Ehrfürchtig. Und dann bat er sie, es ihm vorzulesen.
Sie zögerte kurz. Dann nickte sie – und begann:
Hallo du.
Ich weiß nicht, wie du aussehen wirst.
Ob du eher nach mir kommst oder nach ihm.
Ob du lieber rennst oder liest, lachst oder fragst.
Aber ich weiß eins:
Du wirst geliebt.
Von einem, der sein Herz in Listen sortiert hat –
bis du gekommen bist und alles durcheinandergebracht hast.
Und von einer, die nie stillsitzen konnte –
bis du gekommen bist und mich gelehrt hast, dass Warten auch ein Geschenk sein kann.
Du bist nicht geplant worden.
Du bist passiert.
Mitten in ein Leben hinein, das gerade anfing, sich zurechtzuruckeln.
Und genau deshalb bist du perfekt.
Wenn du irgendwann zweifelst, ob du hierher gehörst –
zu uns, in diese Welt, in dieses schiefe, sonnige Haus:
Dann lies das hier.
Denn du bist das schönste Kapitel,
das wir nie vorgeschrieben haben.
Wir lieben dich.
Schon jetzt.
Deine Mama.
Und Jonas. (Der schreibt sicher später noch eine Fußnote dazu.)
Als sie fertig war, schwieg Jonas lange.
Dann sagte er nur:
„Ich hab keine Fußnote. Nur Tränen.“
Am Abend saßen sie auf der Terrasse, eingehüllt in Decken, Louisa mit den Füßen auf Jonas’ Schoß, ihr Kopf an seiner Schulter. Der Himmel war tintenblau, mit kleinen Lichtpunkten wie ungeschriebene Worte.
„Wenn morgen alles stillsteht – würdest du trotzdem sagen, dass es das alles wert war?“, fragte sie leise.
Jonas antwortete nicht sofort.
Dann flüsterte er:
„Ich würde sagen, es war erst der Prolog.“
In Louisa schlug ein zweites Herz.
Und in beiden klopfte der Beginn von etwas, das kein Plan dieser Welt je hätte vorhersehen können.
Etwas, das größer war als Vanreisen und doppelt belegte Hotelzimmer.
Etwas, das ihnen gehörte.
Ganz.
Und bald.
Nur noch ein Kapitel entfernt.