Die Hotellobby roch nach frisch gebrühtem Kaffee, Lederpolitur und einer Prise chaotischer Urlaubsenergie. Stimmengewirr, das Klicken von Absätzen auf dem Marmorboden, das zarte Surren des Deckenventilators – all das ging Jonas unwirklich durch den Kopf, während er seine Tasche fest umklammerte und das Eincheckformular zum dritten Mal auf Richtigkeit prüfte.
„Herr Riedmann?“ Die Stimme der Rezeptionistin holte ihn zurück ins Jetzt.
„Ja, das bin ich“, sagte er und reichte ihr seine Reservierungsnummer, ausgedruckt, laminiert und zusätzlich als QR-Code auf seinem Handy gespeichert. Man konnte nie zu vorbereitet sein – besonders bei Hotelbuchungen.
Jonas war ein Mann der Ordnung. Sein Koffer war farbcodiert gepackt, seine Zahnbürste hatte ein eigenes Etui, und sein Tagesplan war in 15-Minuten-Abschnitte aufgeteilt. Sogar auf dem Weg zur Rezeption hatte er unwillkürlich ein paar schief hängende Bilder an den Wänden begradigt. Urlaub bedeutete für ihn nicht etwa Entspannung, sondern effizientes Sightseeing, strukturierte Erholung und vor allem: keine Überraschungen.
Die Rezeptionistin runzelte plötzlich die Stirn. Ihr Lächeln geriet ins Wanken.
„Hm. Herr Riedmann, laut System ist dieses Zimmer bereits belegt.“
Jonas blinzelte. „Das kann nicht sein. Ich habe vor vier Wochen gebucht. Zimmer 405. Meerblick, Queen-Size-Bett, glutenfreies Frühstück – alles bestätigt.“
Die Frau hinter dem Tresen tippte noch hektischer. „Sie haben vollkommen recht. Aber... seltsamerweise ist dieselbe Buchung auch auf den Namen einer gewissen...“ – sie hielt kurz inne, um den Bildschirm zu prüfen – „…Frau Louisa Kramer vorgenommen worden.“
„Was?!“
Und da, fast auf Stichwort, schob sich eine Frau mit wirrer Lockenmähne, Sonnenbrille auf dem Kopf und Sand an den Waden durch die Drehtür ins Hotel. Ein Rucksack baumelte lose über einer Schulter, aus der Seitentasche lugte ein zerfledderter Reiseführer mit Eselsohren hervor.
„Hi! Ich bin Louisa. Zimmer 405, oder? Ich hab den Ausblick im Netz gesehen – wow! Und das Frühstück klingt himmlisch! Gibt’s hier übrigens auch vegane Optionen? Ich versuch das grad.“
Jonas drehte sich um und sah... Chaos in Menschengestalt.
Sie war bunt angezogen, trug ein Armband aus Muscheln und einen Strohhut mit Aufschrift "Lost but Loving it". Sie lächelte breit, als hätte sie gerade eine Schatzkarte gefunden – und schien kein bisschen irritiert, als die Rezeptionistin ihr mit betretenem Gesicht erklärte, dass sie sich das Zimmer wohl teilen müsste.
„Ach was, wirklich? Na, das wird ja spannend!“
Jonas schnappte nach Luft.
„Das ist doch unmöglich! Ich kann doch nicht mit einer wildfremden Frau ein Zimmer teilen!“
„Glauben Sie mir, ich bin auch nicht gerade begeistert von der Idee, mein Shampoo mit einem Typen zu teilen, der so aussieht, als würde er die Zahnpastatube mit dem Lineal ausdrücken“, konterte Louisa lachend.
„Das tue ich nicht!“ – Kurze Pause. „Also nicht immer...“
Die Rezeptionistin versuchte, zu vermitteln. „Es tut mir wirklich leid, aber wir sind überbucht. Es ist Hochsaison, die nächste verfügbare Suite wäre... in drei Tagen.“
Louisa war die Erste, die die Stille brach. „Also gut. Ich schnarche nicht, ich singe nur manchmal unter der Dusche. Und ich brauche ein Drittel des Kleiderschranks für meine Wanderstiefel.“
Jonas presste die Lippen aufeinander. Eine innere Stimme in ihm – vermutlich dieselbe, die ihm immer sagte, dass man nie auf fremde Stühle im Café sitzen sollte – schrie laut „NEIN!“. Aber da war auch dieser Blick der Rezeptionistin, erschöpft, entschuldigend, hoffnungsvoll.
Und dieser Blick von Louisa – neugierig, offen, lebendig.
„Drei Tage“, sagte Jonas schicksalsergeben. „Aber wehe, Sie fassen meine Farbsortierung im Koffer an.“
„Versprochen“, grinste sie. „Ich nehm nur ein bisschen Platz im Bad. Und vielleicht den Schreibtisch. Und eventuell den Balkon für meine Kameraausrüstung.“
Er ahnte, dass das ein Fehler war. Aber als sie gemeinsam den Aufzug betraten, Koffer klappernd, Jonas mit verkniffener Miene, Louisa mit einem Hauch Zitroneneis auf der Lippe, fühlte sich der Fehler plötzlich gar nicht mehr so schlimm an.
Zimmer 405 war sonnendurchflutet, mit hellem Holz und einem Balkon, der direkt aufs azurblaue Meer zeigte. Jonas sah zuerst nach dem Fluchtplan an der Tür, Louisa warf sich sofort auf das Bett.
„Federkern! Traumhaft!“, rief sie.
Jonas stellte seinen Koffer penibel in die Ecke. Louisa warf ihren Rucksack auf den Sessel – der prompt umkippte.
„Das Bad ist aufgeteilt. Links Ihre Sachen, rechts meine“, sagte er.
„Okay. Wer zuerst duscht?“
Jonas sah auf die Uhr. „Laut Plan wäre jetzt eigentlich mein Stadtrundgang – aber Sie haben offensichtlich nicht mal eine Uhr dabei.“
„Stimmt. Ich laufe nach Sonne und Laune. Viel flexibler.“
Er war kurz davor, sich aufzuregen – und dann ertappte er sich dabei, wie er lachte.
Vielleicht war sie ansteckend. Wie Sonnenlicht. Oder Sand zwischen den Seiten eines Buchs, das man eigentlich ordentlich halten wollte, aber das einen dann doch ganz sanft in eine andere Welt mitnahm.
„Darf ich Sie wenigstens bitten, Ihre Schuhe auszuziehen, wenn Sie den Teppich betreten?“
„Natürlich, Herr Ordnung“, sagte sie – und kickte ihre Flip-Flops quer durchs Zimmer.
Jonas seufzte.
Es würden lange drei Tage werden.
Oder vielleicht… genau die richtigen.