Das Herz von Thaloria stand in Flammen. Dunkle Rauchschwaden stiegen zum Himmel auf, mischten sich mit dem dichten Nebel und erzeugten eine gespenstische Atmosphäre, die schwer und bedrückend auf der Stadt lastete. Finnian und seine Freunde eilten auf den großen Platz hinaus, der inzwischen zu einem Schauplatz des Chaos geworden war. Überall kämpften die Einwohner verzweifelt gegen Lyras dunkle Anhänger, deren Kristallsplitter blutig rot leuchteten und eine unheilvolle Aura verbreiteten.
Lyra stand inmitten des Infernos, gelassen und kalt, mit einem zufriedenen Lächeln auf ihrem Gesicht, während sie den blutroten Kristallstab fest umklammert hielt.
„Es hätte nicht so kommen müssen, Finnian!“, rief sie höhnisch, als sie ihn bemerkte. „Wir könnten diese Welt gemeinsam regieren. Stell dir die Macht vor, die wir hätten!“
„Ich will keine Macht über andere“, erwiderte Finnian entschlossen. „Ich will nur verhindern, dass du noch mehr Unheil anrichtest.“
Lyra lachte kalt. „So sei es. Dann wird dein Untergang besiegelt.“
Sie hob ihren Stab, und eine Welle aus schwarzem Feuer raste auf Finnian zu. Sofort reagierte er, vereinte seine Kraft mit der von Elara, Gavrin und Kaelan. Ihre Splitter leuchteten gemeinsam auf und erzeugten ein blendendes Schutzschild aus purer, reiner Magie, das den Angriff abwehrte.
„Wir müssen zusammenbleiben!“, rief Elara, während sie die Gruppe eng zusammenhielt.
Lyra schien jedoch vorbereitet zu sein. Mit einem grausamen Lächeln befahl sie ihren Anhängern, die Gefährten voneinander zu trennen. Dunkle Gestalten stürmten von allen Seiten auf sie zu, verwickelten Gavrin und Kaelan in erbitterte Kämpfe und trieben Elara in eine Ecke, wo sie verzweifelt um jeden Zentimeter kämpfte.
Finnian stand plötzlich allein Lyra gegenüber, die triumphierend auf ihn zuging.
„Jetzt sind wir unter uns“, sagte sie ruhig. „Diesmal gibt es niemanden, der dich retten kann.“
Finnian wich zurück, fühlte aber gleichzeitig eine ungewöhnliche Ruhe in sich wachsen. Er spürte seinen Splitter und auch die Verbindung zum Ursplitter, die sich festigte und ihm Kraft verlieh.
Fürchte sie nicht. Vertraue dem Licht, flüsterte seine Kristallseele beruhigend.
„Ich brauche keine Rettung“, erwiderte Finnian mutig. „Ich werde mich dir stellen.“
Lyra schnaubte verächtlich. „Dann zeig mir, was du kannst.“
Sie griff an, ihr dunkler Kristall entfesselte eine Flut von schwarzen Schatten, die sich wie peitschende Tentakel auf Finnian stürzten. Doch er hielt stand, formte mit seiner Handbewegung eine Kuppel aus klarem, blendendem Licht, die die Schatten absorbierte und zurückwarf.
Ihre Kräfte prallten aufeinander, Licht gegen Dunkelheit, ein Kampf um jeden Funken Magie. Doch während Lyra von Wut und Gier angetrieben wurde, spürte Finnian die Zuversicht seiner Seele und die Hoffnung seiner Freunde, deren Kämpfe er spürte, obwohl sie voneinander getrennt waren.
In diesem Moment sah er plötzlich eine Schwäche in Lyras Verteidigung. Ihre Macht war groß, aber ihre Seele war zerrissen, dunkel und verletzt. Finnian nutzte diesen Augenblick und ließ seinen Splitter intensiv aufleuchten, sodass ein heller Strahl aus purem Licht direkt auf Lyras Herz gerichtet war.
Lyra schrie auf, taumelte zurück und sank auf die Knie. Ihre Augen blickten ihn einen Moment lang überrascht an, voller Schmerz, aber auch plötzlich verletzlich.
„Du... du könntest es beenden“, hauchte sie schwach. „Ich hätte nie gedacht, dass jemand so stark sein könnte.“
Finnian zögerte. Er sah in ihr Gesicht, das jetzt so menschlich und verletzlich wirkte – und plötzlich verstand er, dass sie einst wie er gewesen war, bevor die Dunkelheit sie verschlungen hatte.
„Ich will dich nicht vernichten“, sagte Finnian ruhig. „Ich will dich retten.“
Lyra blickte ihn verwirrt und fast erschrocken an. „Retten? Mich?“
Finnian trat vorsichtig näher und hielt ihr seine Hand entgegen. „Jede Seele verdient eine zweite Chance, Lyra. Lass die Dunkelheit los.“
Sie starrte auf seine ausgestreckte Hand, zögerte, kämpfte sichtbar mit sich selbst. Doch dann, als hätte etwas in ihr gewonnen, schüttelte sie langsam den Kopf.
„Ich... kann nicht mehr zurück“, flüsterte sie traurig, aber entschlossen. „Ich habe meinen Weg gewählt.“
Mit einem letzten Blick auf Finnian erhob sie sich plötzlich wieder, ihre Augen voller Entschlossenheit, aber auch Trauer. „Unser Kampf endet nicht hier. Aber ich danke dir für deine Menschlichkeit – vielleicht war sie nicht umsonst.“
Ein dunkler Nebel wirbelte um sie, und sie verschwand in einem Sturm aus Schatten, der über Thaloria fegte und ihre Anhänger ebenfalls mit sich riss.
Finnian sank erschöpft auf die Knie. Gavrin, Kaelan und Elara kamen eilig auf ihn zu, ebenfalls gezeichnet von den Kämpfen, aber lebendig und erleichtert, dass die Bedrohung vorerst abgewendet war.
„Sie ist entkommen“, sagte Finnian niedergeschlagen.
„Aber sie hat gezögert“, erwiderte Elara sanft. „Du hast etwas in ihr berührt.“
„Es war trotzdem nicht genug“, flüsterte Finnian enttäuscht.
„Noch nicht“, korrigierte Gavrin ernst. „Aber vielleicht beim nächsten Mal.“
Meister Liron trat zu ihnen, sein Gesicht müde, aber hoffnungsvoll. „Ihr habt Thaloria gerettet. Doch eure Aufgabe ist nicht vorbei. Lyra wird nicht ruhen, bevor sie den Ursplitter kontrolliert.“
Finnian blickte zum Himmel, der sich langsam wieder aufklarte, und spürte tief in sich die Verbundenheit zu seinem Splitter – und die leise Hoffnung, dass noch nicht alles verloren war.
„Dann machen wir uns bereit“, sagte er entschlossen. „Wir müssen die restlichen Splitter finden, bevor Lyra es tut.“
Seine Freunde nickten entschlossen, vereint im Wissen, dass ihre Reise weit schwieriger sein würde, als sie sich je vorgestellt hatten. Doch Finnian spürte auch, dass sie gemeinsam alles erreichen konnten.
Während sie durch die rauchenden Straßen Thalorias schritten, die langsam wieder Frieden fanden, spürte Finnian deutlich, dass ihr Schicksal untrennbar mit Lyras verbunden war. Und dass ihr Kampf noch nicht vorbei war – sondern erst begonnen hatte.